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IM HEISSLUFTBALLON - Analyse eines Schulsongs

IM HEISSLUFTBALLON Schulsong der Hunsrück-Grundschule von Deborah Klein

(Foto: Deborah an den Keyboards und Rebecca Carrington am Cello)

Suli Puschban hat ein Lied geschrieben, das Kinder und Erwachsene gerne singen. Sie singen es manchmal alle zusammen laut auf dem Schulhof der Hunsrück-Grundschule in Berlin Kreuzberg, unterstützt von der Lehrerband. Sie haben in den Klassen dieses Lied singen gelernt, über Wochen hörte man es fast täglich aus irgendeinem Fenster der Schule klingen. Einige Kinder bringen es mit in den Klavierunterricht, weil sie sich beim Singen selbst an ihrem Instrument begleiten wollen.

Das Lied "Im Heißluftballon" nimmt im Titel das Logo der Schule auf: einen bunten Heißluftballon, der seit seiner kühnen Entwicklung durch die Brüder Montgolfier im 18. Jahrhundert Sinnbild für Entdeckerfreude, Aufbruch, Risikobereitschaft und Reiselust ist. Es ist diesen neugierigen und hartnäckigen Forscher-Brüdern gelungen, das Ding zum Fliegen zu bringen, und es fliegt bis heute. Um einzusteigen, braucht man Mut und Vertrauen. Bei gutem Wind kommt man ziemlich weit damit.

Dass das Lied sich gut singen lässt, hängt zum einen von seiner musikalischen Qualität ab: Es hat eine eingängige und ansprechende Melodie in Moll, es ist rhythmisch, harmonisch und stilistisch abwechslungsreich und formal stimmig. Die Schulklassen haben es zusammen mit Suli Puschban inhaltlich erarbeitet, haben es einstudiert und geübt, und inzwischen kann es fast jedes Kind an der Hunsrück-Grundschule singen, trotz der durchaus anspruchsvollen Harmonik und Melodieführung.

Dass es von vielen Kindern und Erwachsenen gern und mit Überzeugung gesungen wird, liegt auch am Text. Ein Schulsong soll Spaß machen, und er soll Überzeugungen und Werte zur Sprache bringen, die das Zusammenleben und Lernen an genau dieser Schule ausmachen. Die Schule, um die es in diesem Lied geht, ist eine Ganztags-Grundschule in Berlin-Kreuzberg. Der Schulalltag ist geprägt von sprachlicher, sozialer und kultureller Vielfalt. Es ist nicht immer einfach, auf der Basis der unterschiedlichen Voraussetzungen und Orientierungen der Schülerinnen und Schüler eine friedliche und zukunftsorientierte Gemeinschaft zu gestalten.

Das Lied bringt sprachlich gleich mehrere wichtige Botschaften, die helfen können, gerade diese Verschiedenheit als Chance zu erkennen und nutzbar zu machen:

– Mit anderen zusammen zu lernen und zu singen, schafft Gemeinschaft und Selbstvertrauen.

– Wissen ist der Schlüssel zu einer besseren Gesellschaft und Lebensqualität.

– Kulturelle und sprachliche Vielfalt ist Reichtum.

– Wir wissen, woher wirkommen.Unsere Geschichte ist der Boden für

unsere Gegenwart und Zukunft.

Der Liedtext zitiert einen berühmten Satz, der durch die antike griechische Überlieferung dem Griechen Perikles zugeschrieben wird:

"Das Geheimnis des Glücks ist die Freiheit, das Geheimnis der Freiheit ist der Mut".

Dieser über 2000 Jahre alte Satz ist angesichts der derzeitigen weltpolitischen Lage höchst aktuell. Der Ruf nach Freiheit ist konkret. Um frei zu sein, braucht es den Mut zur Befreiung. Die Befreiung ist eine aktive, umsetzbare Größe, kein vager Traum. Mut ist der Mut zum Handeln. Die Schule und das Elternhaus sollen Orte sein, die dieses Handeln ermöglichen und das Bewusstsein dafür ausbilden. Freiheit ist zu verstehen als die eigene Freiheit und die Freiheit der anderen. Auch das ist ein gesellschaftlich relevanter Aspekt, den es in der Schule zu lernen und zu vermitteln gilt. Der Begriff des Glücks beinhaltet noch viel mehr, ist aber ohne Freiheit nur schwer vorstellbar.

Der Schulsong hat mehrere Teile. Der klassische Wechsel von drei Strophen und Refrain wird ergänzt durch eine eigene, vierte Strophe, die nur von den Lehrerinnen, Lehrern, Erzieherinnen und Erziehern und Eltern gesungen wird, sowie von einem Sprechgesang im Rap-Stil, der von den Kindern gerappt wird. Stilistisch, sprachlich und inhaltlich sind diese beiden Teile sehr unterschiedlich, gestützt durch den Wechsel der Sprecher-Perspektive.

Die Eltern-Lehrer-Strophe ist ein Versprechen der Erwachsenen an die Kinder, sie zu beschützen und sie zu unterstützen - bei der Verwirklichung ihrer Vorhaben und Wünsche genauso wie bei der Überwindung von Widerständen und Schwierigkeiten.

Die Rap-Strophe liefert eine komplexe Serie von Wortpaaren, aus der die Verantwortung der Kinder für die Gestaltung der Zukunft und für eine "bessere Welt" hervorgeht. Die Grundvoraussetzung für das Gelingen einer solchen, besseren Zukunft sind Liebe und Respekt.

Ein so gewichtiger Satz wie: "Du bist ein Held, wenn du weißt, dass die Liebe zählt" lässt sich wunderbar rappen. Er provoziert in dieser Form ein Augenzwinkern, das heißt: Halt ihn mal aus. Rap macht ihn möglich. Kreuzberger Jugendliche dazu zu bewegen, ohne Scham einen solchen Satz zu sagen, ist eine Kunst.

Der Refrain ist die Einladung, mitzumachen. Mut zu haben, sich zusammen mit anderen auf eine Reise zu begeben, deren Ausgang unbekannt ist. Es ist ein Aufbruchs-Text, ein Appell zur Beteiligung und zum Zusammenhalt.

Sprachlich schlägt Suli Puschbans Lied eine Brücke zwischen jugendlicher Alltagssprache und einer poetischen Sprache, die Bilder erzeugt. Alltagssprachliche Wendungen wie "ohne Ende Wissen fressen" oder "dann hast du es gecheckt" haben genauso ihren Platz wie "die Wolke küsst den Baum, der Baum gibt uns die Hand". Dazwischen gelingt es, in wenigen Sätzen sehr konkret den Schulalltag und die Schule als Spannungsfeld zu beschreiben, in dem sich Kinder und Erwachsene gemeinsam bewegen. In diesem Spannungsfeld kommen wir erst dann gut miteinander aus, wenn Liebe und Respekt eine selbstverständliche Basis für unser Miteinander sind.

In der Schule, auch wenn es eine freundliche und gute Schule ist, fühlen sich Kinder manchmal überfordert, abgehängt, übergangen, eingesperrt, bevormundet. Diesem Bild lässt sich durch einen Schulsong wie dem von Suli Puschban etwas entgegensetzen. Keine heile Welt, sondern ein Angebot von Möglichkeiten, mit der eigenen Kraft, dem eigenen Wissen, mit Interesse und gegenseitiger Achtung dafür zu sorgen, dass dieser Ort, an dem wir alle viele wichtige Jahre unseres Lebens verbringen, ein guter Ort wird und bleibt. Der Ort, an dem wir uns auf ein Leben "draußen" vorbereiten, für das wir uns wappnen müssen. Mit Mut, Neugier, Vertrauen - und Musik.

Deborah Klein

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